Angst, Furcht und Panik scheinen in unserer säkularisierten, nach langen Kämpfen endlich von Gott befreiten Gesellschaft, zu einem konstituierenden Merkmal der Kinder der Postmoderne geworden zu sein. Alles und jedes wird unter den medialen Vorzeichen grenzpsychotischer Hysterie betrachtet, bewertet und in Arial 64 Lettern kreuz und quer um den Globus auf stets empfangsbereite Endgeräte gesendet und von für alles offenen Hirnen willig absorbiert. Mit der Entsorgung Gottes hat man sich offenbar nicht nur der als inhuman empfundenen Bürde bürgerlicher Moral und des Muffs der Talare seiner oft allzu irdischen Verwalter entledigt, sondern – gewissermaßen als Nebeneffekt – auch gleich die Letztverantwortung für die ganze Welt übernommen. Für den Kampf für Geschlechter- und Klimagerechtigkeit, gegen Nationalismus und Rassismus, für globale Verteilungsgerechtigkeit, für die Diversität der Biosphäre, gegen den Verbrauch von Rohstoffen, für die Reinheit der Flüsse und Meere, für die artgerechte Haltung von Haus- und Nutztieren, für die physische und psychische Gesundheit aller Menschen, für die Abschaffung der Plastiktüten, gegen den Zigarettenrauch sowie den Kampf gegen den Hauptschuldigen in all diesen Teilverfahren, den toxischen alten und – vorzugsweise – weißen Mann, dem wir sämtliche Detailprobleme im Speziellen sowie das kurz bevorstehende Armageddon des Planeten im Allgemeinen letztlich zu verdanken haben.
Da es niemanden mehr gibt, der uns in seiner Hand hält, der die Furcht, das Leiden und den Tod überwunden hat, bleibt uns, den dergestalt im Dauerkampf befindlichen Transhumanisten und Pazifisten, nichts anderes übrig, als uns auf uns selbst und die Wissenschaft zu verlassen.
Und so werden uns selbst winzigste organische Strukturen, mit denen die Menschheit seit Tausenden von Jahren in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz lebt und gegen die sie vom (selbstverständlich nicht existierenden) Schöpfer mit einem faszinierenden Immunsystem ausgestattet wurde, zum Kondensationskeim frei flottierender Weltuntergangsphantasien. Um unserer „Recht auf beeinträchtigungsfreies Leben“ wahrnehmen zu können, müssen von spezialisierten Fachleuten Modellrechnungen angestellt, Zahlen und Fakten erhoben, Risiken identifiziert und bewertet und diese schließlich auf ein Minimum reduziert werden. Um das Leben – das einzige, woran der Homo hygienicus noch wirklich glaubt – möglichst lange zu erhalten, haben wir es zu sistieren. Durch Ausgangs-, Kontakt- und Besuchsverbote, durch eine behördlich vorgeschriebene Höchstzahl an Freunden (eigentlich eh nur einer), durch (möglichst mehrmals tägliche) Testung unseres Infektionsstatus, durch Mund-Nasen-Barrieren aller Art und Herkunft und nicht zuletzt durch die strenge Absonderung all jener, die unser Recht auf beeinträchtigungsfreies Leben, auf Krankheits- und Leidensfreiheit gefährden. Sei es, weil sie – mutmaßlich durch unverantwortliches Handeln – potenzielle Träger des Todeskeims sind, oder, schlimmer noch, weil sie dessen am Einzelfall hinreichend illustrierte Gefahr durch Verweis auf Statistiken in nicht hinzunehmender Art und Weise verharmlosen oder gar negieren.
Aber auch der von Gott befreite, selbstverantwortliche, wissenschaftsgläubige und sich selbst ermächtigende Mensch sehnt sich hie und da nach Erlösung. Diese dräut in Form einer auf wundersame Weise innert weniger Wochen – zumindest bis zur Marktreife – entwickelten Impfung, die das von Natur aus defizitäre Immunsystem des Menschen optimieren und damit sein permanentes Gefährdungspotenzial für andere minimieren soll. Gut, damit hapert es noch ein wenig, aber wir schaffen das! Dank sei (natürlich nicht Gott) sondern der Selbstlosigkeit und Menschenfreundlichkeit der Pharmaindustrie, die seit der Abschaffung des Christengottes dessen Heilswerk zum Segen der Völker weitgehender und perfekter übernommen hat, als es dieser je vermocht hätte. Tja, wenn da nicht die neuen Apostaten und Heilsverweigerer wären, die sich der Segensdistribution 2.0 undankbar in den Weg stellen. Man wird sie wohl mit „nachhaltiger Missionstätigkeit“ zu ihrem eigenen Heil drängen müssen. Nach dem alten (abgewandelten) Kreuzfahrermotto: „Besser den Impfstoff, als gar nichts Heiliges im Leib.“ Die alte Religion geht, die neue kommt.
So bleibt mir nur der neue Ostergruß: „Das Leben ist erstanden nach der Impfung, die Impfung bezwingt den Tod und hat allen in Quarantäne neues Leben geschenkt.“